Die neuere Zeit
Ich glaube, daß während der Toleranzzeit die Weichen gestellt worden sind für die folgende Zeit: Festhalten am alten Evangelium, für das die Väter Namenloses gelitten haben und Offensein für die Geistesbewegungen der Zeit.
a) Den Ausgleich zu finden zwischen Glauben und Wissen ist ohne Zweifel schwer. Wohin es führt, wenn das vermeintliche Wissen das Übergewicht bekommt, zeigt eine Gestalt wie Konrad Deubler (1814-1864) der Bauernphilosoph, den Peter Rosegger bewundert hat wegen seiner Bemühungen um Volksbildung und soziale Gerechtigkeit. Aber unter dem Einfluß seiner Freunde Ernst Häckel und Ludwig Feuerbach ergab er sich einem radikalen Monismus: Die Materie ist die einzige Wirklichkeit, die Alleinherrschaft der Vernunft wird die Menschheit zum wahren Glück führen. Wenn die Menschen von allen Jenseitshoffnungen und allen Jenseitsängsten befreit sind, wenn sie wissen, daß es keine andere Ewigkeit gibt als den Kreislauf der Atome, dann wird das Gute im Menschen durchbrechen, Galgen und Gefängnisse werden überflüssig, man braucht keine Theologen und keine Kirchen mehr.
Für seinen Grabstein bestimmt er den Spruch: "Der Geist ist eine Eigenschaft des Stoffes, er entsteht und vergeht mit ihm. Nun lebe wohl, du schöne Welt, du liebe Sonne und ihr ewigen Sterne. Meine Augen sehen euch nie wieder."
Leopold Temmel weist in seinem Buch „Evangelisches Osterreich" darauf hin, daß die Männer im Salzkammergut in den Arbeiterunterkünften oberhalb Hallstatt und in den Holzknechtstuben jahrzehntelang von Montag bis Samstag für sich lebten, „da zogen Deublers Gedanken ein und es begann bei vielen eine Loslösung vom kirchlichen Gedankengut, die bis heute nachwirkt."
b) Während Deubler seinen Pfarrer Moritz Wehrenpfennig mit Hohn und Spott bedachte und auf Aufhebung der evangelischen Schulen drängte, weil auch sie Geistesgefängnisse seien, hat die Frau des Pfarrers, Luise Wehrenpfennig, ein großes Liebes- und Rettungswerk für die Jugend gegründet. Sie gründete einen Kindergarten, eine Handarbeitsschule und 1875 ein Erziehungsheim für arme und verwaiste Mädchen. Das „Luise-Wehrenpfennig-Haus" erinnert noch heute an diese Frau.
Die evangelischen Schulen in Goisern und St. Agathe sind 1872 aufgehoben worden. Im Schulgebäude Goisern wurde 1899 eine Armen- und Siechenanstalt untergebracht, jetzt evangelisches Pflegeheim.
Aus dem Glauben heraus ist sich die Gemeinde ihrer sozialen Verantwortung bewußt geworden. Es entsteht gemeindeeigene Diakonie. Während andere Gemeinden ihre Waisenkinder, ihre Alten und Siechen nach Gallneukirchen abschoben, sagten die Goiserer: „Wenn ein Glied leidet, so leiden alle Glieder mit" und haben für ihre hilflosen und unberatenen Gemeindeglieder gesorgt. Das ist ein Vorbild für alle Gemeinden.
c) Die Kirche des Salzkammergutes sei eine Volks- und Glaubenskirche gewesen, sagten wir. Die Reformationszeit zeigt einen Zusammenklang der beiden Begriffe, wie man ihn anderswo kaum findet.
Unter den Schlägen einer 180jährigen Verfolgung entsteht eine Glaubenskirche, die alles für das Evangelium zu opfern bereit ist. Die Kirche der Toleranzzeit geht durch manche Anfechtungen und Sichtungen, wird sich aber wieder volkskirchlicher Verantwortung bewußt. Neudr Glaubensaufbruch ist in der Jugend spürbar.
Die Kirche der Zukunft wird sich unter dem Kreuz um die Überwindung des konfessionellen Zwiespalts bemühen und dem kommenden Herren entgegenharren.
Christoph Friedrich Salomon Kästner hat auf die erste Seite seiner Kirchenchronik geschrieben: „Gott gebe es, daß die hiesige, große evangelische Gemeinde in seinem Wort immer mehr unterrichtet, im Guten gegründet und Sein Heiliger Name durch uns noch mehr verherrlicht werde."
Dies wird die Bitte aller Gemeinden sein, die die 200-Jahr-Feier ihrer Begründung begehen.