Der Geheimprotestantismus
In den 180 Jahren der Verfolgung geht das Salzkammergut den Weg des gewaltlosen Widerstandes. Das bedeutet:
a) Zähes Festhalten am ererbten Glaubensgut. Man versammelt sich zu Geheimgottesdiensten. Der schon erwähnte "Gedenkstätten-Führer" weist hin auf das Schwarzenbachloch in der Ortschaft Pichlern, auf den Radsteig beim Predigstuhl (1.176 m), auf die KaImoskirche, eine Höhle (1.600 m) am Steig zwischen Hoher Schale und Hochkalmberg, wo überall der Überlieferung nach Geheimgottesdienste gehalten wurden.
b) Man sammelt sich in Hausandachten um Bücher, die den Trost des Evangeliums verkünden. Einige Bücher aus der Geschichte Goiserns deuten hin auf den Geist, der die Gemeinde im Salzkammergut bewegte.
Bekannt ist die Geschichte des alten Jakob Schenner, „Wirtsjagl" in Goisern, Reitern 7: in einer eisigen Dreikönigsnacht um 1770 steht er um 2 Uhr nachts auf, um den draußen jaulenden Hund hereinzulassen. Die warme Stube lockt ihn, ein evangelisches Gebetbuch hervorzuholen. Der Nachtwächter und Gerichtsdiener bemerkt den Lichtschein und klopft an die Fensterläden. Schenner versucht, das Gebetbuch im Ärmel seines Pelzes zu verstecken. Aber der Gerichtsdiener tastet ihn ab und zieht triumphierend ein schmales Buch aus dem Ärmel. Es ist der „Habermann", ein damals recht beliebtes Gebetbuch eines Wittenberger Professors (gest. 1590), das in den evangelischen Häusern des Landes gebraucht wurde. Der 83jährige Mann wird verhaftet und vor das Gericht gestellt. Er soll am kommenden Sonntag vor versammelter Gemeinde alle Lehren des Habermannbuches als Teufelslehren erklären. Er weigert sich und erklärt, daß der Inhalt des Buches auf Gottes Wort gegründet sei und der Papst und sein Anhang nicht imstande sei, ein solches Buch zu verfassen. Die Folge ist, daß er nach Kremsmünster in das Konversionshaus abtransportiert wird, wo er nach ein paar Monaten an Kälte und Hunger zugrunde geht. Sein Sohn Michael wurde Begründer der Toleranzgemeinde Goisern und sein Enkel Leopold Schenner der erste Lehrer der Gemeinde.
Nach der Verlautbarung des Toleranzpatentes und vor dem Beginn der öffentlichen Gottesdienste versammelten sich die Evangelischen in verschiedenen Häusern zu Hausandachten, wobei Predigten von Martin Moller vorgelesen wurden. Martin Moller, von dem wir viele Lieder in unserem Gesangbuch haben, war Pfarrer in Görlitz und ist dort 1606 gestorben. Er sieht im Leiden Christi Ursprung alles Heils, Zuflucht in allen Anfechtungen, einzige Arznei gegen die Sünde. „Es tobe die Welt, es zage das Fleisch, es wüte der Teufel, ich bleibe getrost, in den Wunden Christi will ich mich bergen." Der Theologe Tobias Beck hat diesen Martin Moller als den trefflichsten Lobsänger des Kreuzes Christi gepriesen.
Neben dem geliebten „Molleri" steht später Josef Schaitberger, der große Seelsorger der Salzburger Emigranten vom Jahre 1731. Der sogenannte „Sendbrief" war beim Erscheinen des Toleranzpatentes fast in allen Häusern zu finden. Er verbindet strenge Bindung an das Lutherische Bekenntnis mit frühpietistischer Glaubensinnigkeit.
c) Gewaltloser Widerstand im Glauben wurde geleistet, auch gegenüber den geistlichen Bedrängern.
1622 war das Kloster Traunkirchen den Jesuiten übergeben worden. 60 Seelsorgestellen des Salzkammergutes wurden von dort aus besetzt. Aus einer Brunnenstube reformatorischen Lebens wurde ein Brennpunkt der Gegenreformation. Wir haben schon erwähnt, daß die Goiserer mit der Bibel so vertraut waren, daß sie auf Belehrungen mit Bibelworten antworteten. Noch 1731 hat ein Goiserer Seelsorger an den Salzhauptmann Ferdinand v. Seeau geschrieben: „Der lutherische Irrtum ist im Salzkammergut seit 100 Jahren eingewurzelt." Der „Sendbrief" hat das Feuer neu entfacht. Die HI. Schrift zur Bekehrung der Goiserer muß in Gmunden gemacht werden. Es hilft nur noch das Schwert der weltlichen Gewalt. Drei Epitaphien des Grafen von Seeau in der Kirche von Goisern zeigen den Weg, den der Graf in Gmunden gehen muß. Einer zeigt die Opferung lsaaks. Der Salzamtmann soll nicht zweifeln: es ist Gottes und des Kaisers Wille, daß man da, wo es um den Glauben geht, alle väterliche Milde beiseite setzen und Schärfe und Ernst gebrauchen, ja, wenn nötig, mit dem Schwert dreinschlagen muß.
Auf einem anderen Epitaph ist der barmherzige Samariter dargestellt, der dem Verwundeten Öl und Wein in die Wunden gießt. Der Verwundete sind die Goiserer. Öl und Wein, oder besser Essig, müssen zusammenwirken. Den scharfen Essig muß die Obrigkeit, das Öl die Geistlichkeit zugießen. Öl von beiden Seiten führt zu keinem Kurerfolg.
Das dritte Epitaph zeigt die Bekehrung Pauli. Paulus wurde auf den Boden geschleudert und dann ist ihm das Licht aufgegangen. So müssen auch die Goiserer erst einmal richtig angegriffen und gleichsam zu Boden geworfen werden, dann werden auch ihnen die Augen aufgehen und sie werden sich gerne, wie Paulus von Ananias, unterweisen lassen.
Es ist eine merkwürdige Theologie der Gewalt. Wenn das Wort zur Bekehrung nicht ausreicht, dann muß mit dem Schwerte dreingeschlagen werden. Wenn der Geschlagene dann um Hilfe schreit, kann er von der Kirche aufgerichtet werden.
d) Gewaltloser Widerstand in der Kraft des Glaubens wurde schließlich geleistet durch das Verlassen der Heimat. Schon im Jahre 1712 verlassen 70 Goiserer, die den Zwiespalt des Gewissens nicht mehr ertragen, die Heimat, um in Nürnberg ihres Glaubens leben zu können. Die Vertreibung der Salzburger Protestanten 1731/32 erweckt im Salzkammergut das Verlangen, die Heimat zu verlassen, um dem Gewissensdruck zu entgehen. Der Salzamtmann Graf Ferdinand von Seeau gibt im Juni 1733 die Zusicherung freier Abwanderung in lutherische Länder. Es melden sich 1.200 Erwachsene. Kaiser Karl Vl. erschrickt vor dem schweren Schaden, den das Salzkammergut durch die Abwanderung erleiden muß und erklärt: hinfort gibt es keine Emigration mehr in fremde Länder, sondem nur Transmigration innerhalb der Monarchie und zwar nach Siebenbürgen, wo die Reformation vor der Besitznahme durch die Habsburger durchgeführt worden war. Die Transmigration ist ein so erschütterndes Kapitel, daß man sich scheut, im Vorübergehen davon zu sprechen. Der Siebenbürger Landler Erich Buchinger hat 1980 ein Buch von 480 Seiten über die Landler in Siebenbürgen erscheinen lassen. Von 1752 bis 1758 sind auf 19 Transporten 2.042 Personen nach Siebenbürgen gebracht worden. Für ein Drittel war die Transmigration ein Todesurteil.
Von den 634 Transmigrierten der ersten vier Transporte war die Mehrzahl, nämlich 378, aus Goisern. Der Beauftragte der Kaiserin Maria Theresia, Baron Wankhel von Seeberg, hat für die Unterbringung so schlecht gesorgt, daß ein Drittel der transmigrierten Familien ausgestorben sind. In siebenbürgischen Akten lesen wir über die vertriebenen Oberösterreicher: „Es trieb sie die bange Furcht, sie könnten in ihrem Vaterland bei der harten Unterdrückung ohne Predigt des Evangeliums und ohne Heiliges Abendmahl unter beiderlei Gestalt ihrer Seligkeit verlustig gehen."
Das war die schreckliche Entscheidung, vor der sie standen: In der Heimat bleiben und die ewige Seligkeit verlieren oder die Heimat verlassen und ins äußerste Elend geraten. Aber ihr Bekenntnis war:
„Lieber will ich hauslos treiben
wo Gott und Freiheit mit mir zieht,
als hier ein schlechter Sklave bleiben,
der zu des Zwingherrn Glauben flieht."